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Trost in der Trauer: Madita van Hülsen & Anemone Zeim

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Trost in der Trauer: Madita van Hülsen & Anemone Zeim

Madita van Hülsen
& Anemone Zeim

2013 gründeten Madita van Hülsen und Anemone Zeim ihre Traueragentur „Vergiss Mein Nie“ mit einem ganz genauem Ziel: Die Art, wie in unserer Gesellschaft mit Trauer umgegangen wird, zu verändern. Das Besondere an ihrer Idee: Sie schaffen individuelle Erinnerungsstücke für die Angehörigen, die sie an das Leben mit dem Verstorbenen erinnern sollen. Im Interview verrät uns Madita van Hülsen, wie sie ihr Konzept umgesetzt haben, mit welchen Problemen die beiden zu kämpfen hatten und welche Anfrage sie besonders berührt hat …

Wie und wann seid ihr auf die Idee zu „Vergiss Mein Nie“ gekommen?

Die Idee der Trauer einen Raum zu geben und auch kreativ mit ihr umzugehen ist 2013 entstanden. Wir hatten uns eigentlich wegen einem Job getroffen aber dann haben wir gemerkt, dass wir beide sehr gut miteinander über das Thema Tod und Sterben sprechen können und so ist eigentlich erst die Idee entstanden.

Wie wurde es dann zu einer richtigen Traueragentur?

Wir haben durch eigene Erlebnisse gemerkt, dass wir bestimmte Dinge in unserer Trauer gerne anders gehabt hätten. Wir haben uns gefragt, warum hat man das nicht eigentlich nicht „schön“ gemacht, z.B. die Trauerkarten bei der Beerdigung und solche Dinge. Wenn sowieso bei dem Tod eines geliebten Menschen alles schon so schrecklich ist, warum wird es den Trauernden zusätzlich schwer gemacht und warum gibt es so wenige Menschen, mit denen man wirklich gut über diese Situation, die Trauer und den Verstorbenen sprechen kann. Für uns ist es deshalb ein persönliches Anliegen geworden, das selbst zu machen. Gerade in dieser schlimmen Zeit ist es wichtig, dass man die Dinge so gestaltet, wie zum Beispiel der Verstorbene sich das gewünscht hätte. Viele wissen ja zum Beispiel gar nicht, dass man einen Trauerrand nicht schwarz machen muss. Es gibt da ja gar keine Gesetze für. Und so hat es eigentlich angefangen 2013. Wir haben uns dann immer einmal die Woche getroffen und haben ein Konzept geschrieben und gesagt: „Wir machen das jetzt!“ Wir finden die Idee sehr wichtig, damit sich in der Trauerkultur in Deutschland etwas verändert.  Dann haben wir angefangen mit Erinnerungsstücken zu arbeiten, was uns auch ein ganz besonderes Anliegen ist. Wenn jemand verstorben ist, können die Angehörigen zu uns kommen  und aus irgendetwas – das kann ein Foto sein, eine Stimmgabel oder ein Pullover der Mutter – können wir ein ganz individuelles Erinnerungsstück gestalten, was eben kein Staubfänger wird, sondern etwas ist, was du in deinen Alltag mitnehmen kannst, wenn du das möchtest.

Warum findest du ist das Erinnern für Angehörige so wichtig?

Tod ist einfach immer sehr sinnlos und total schrecklich, aber irgendwann kommt man an einen Punkt, wo man einfach dankbar ist für das Leben, das man miteinander hatte. Und wenn man sich an die schönen Momente erinnert, dann kann eben genau diese Energie, die da hervorkommt, den Trauernden neue Kraft spenden.

Ihr gebt ja auch Workshops für Trauernde. Was macht ihr genau da?

In unserem Alltag haben uns immer ganz viele Menschen gefragt, was man denn machen könne, wenn jemand im Bekanntenkreis gestorben ist und wie man sich dann verhalten solle. So viele Fragen werden immer an uns herangetragen, dass wir uns überlegt haben, das es doch eigentlich schön wäre, wenn man eben nicht immer in diesen Schockzustand verharrt, sondern einfach ganz offen darüber redet. Tatsächlich ist es so, dass, wenn jemand zum Beispiel bei der Nachbarin verstirbt, die Menschen oft die Straßenseite wechseln, wenn sie der Person begegnen. Das machen wahnsinnig viele. Ziel dieser Workshops ist es sich einfach in diesen Trauernden hineinzuversetzen. Wir sagen dann immer: Du kannst in dieser Situation dann ruhig grüßen und zugeben, dass du nicht weißt, was du sagen sollst. Die Wahrheit zu sagen ist immer richtig. Die Leute haben schon Panik mit diesem Thema überhaupt umzugehen und das ist halt so schade, weil es eben ein Teil unseres Lebens ist.

Was habt ihr vor „Vergiss Mein Nie“ gemacht?

Wir sind beide immer noch in unseren aktuellen Jobs, wo wir auch finden, dass sich das gegenseitig gut tut, weil einfach auch vieles aus dem Leben heraus entsteht. Anemone ist Texterin und Kommunikationsdesignerin in der Werbung. Und ich bin gelernte Kommunikationswirtin. Wir kommen also beide eigentlich aus ähnlichen Bereichen. 

Ihr beide macht das Ganze ja zusammen. Kanntet ihr euch vorher oder seid ihr über das Projekt zusammengekommen?

Wir beide waren Nachbarinnen in einem Haus auf St. Pauli. Ich hatte damals ein eigenes Magazin, „ IDEAL! Interview Magazin“.  Und für dieses Magazin sollte Anemone eine Prominente interviewen. Dann haben wir bei diesem Interview aber überhaupt nicht über die Arbeit gesprochen, sondern haben gemerkt, dass wir in dem Bereich Trauer Gemeinsamkeiten haben und das war einfach so inspirierend, weil wir beide das Gefühl hatten, das wir mit jemanden normal darüber sprechen können, ohne das der Gegenüber das gleich unbehaglich findet. Und das war so toll, dass sich das Ganze immer weiterentwickelt hat.

Wie wichtig ist es für dich, dass ihr die Agentur als Duo leitet?

Das ist super wichtig weil die besten Ideen dadurch entstehen, dass man sich ergänzt. Dann ist natürlich lebensnotwendig, dass wenn der eine nicht da ist, dass der andere das mal etwas auffangen kann. Und es ist auch gerade in dem Bereich wichtig, verschiedene Seiten zu haben und für den Trauernden unterschiedliche Ansprechpartner zu haben. Wir wünschen uns auch, dass wir noch weiter wachsen, weil es ganz toll ist, wenn man in einem Team mit mehreren Menschen etwas Wunderbares schaffen kann.

Kannst du dich an eine Anfrage erinnern, die dir besonders im Kopf geblieben ist, dich besonders berührt hat?

Ich kann mich an jede unserer Anfragen erinnern, weil die einfach immer sehr berührend sind und jede Lebensgeschichte etwas ganz besonderes ist. Wir haben mit einer Mutter zusammen, die ihren 15-Jährigen Sohn verloren hat, ein ganz besonderes Erinnerungsstück gemacht, was sie nun begleitet und was sie auch dem Vater des Sohnes geschenkt hat und was nun beide in ihrem Leben begleitet. Beim Erstgespräch ist es natürlich so, dass wir die Lebensgeschichte erfahren. Und dann denken wir uns mit dem Angehörigen ein passendes Erinnerungsstück aus. Manchmal merkt man dann sofort, dass derjenige total begeistert ist und manchmal merkt man aber auch, dass der Wow-Effekt eben noch nicht da ist und man noch daran feilen muss. Bei der Mama war das zum Beispiel so, das hat man gespürt. Die erste Idee fand sie zwar gut, aber das war es irgendwie doch noch nicht so ganz und beim zweiten Treffen hatte sie so einen Wow-Effekt, dass sie fast geweint hat, weil wir einfach wirklich genau das Erinnerungsstück für sie konzipiert hatten, was sie im Herzen berührt hat. Und ich erinnere mich an eine Anfrage, die mich ebenfalls persönlich sehr berührt hat, weil ich eine Kindertrauerrede in Berlin halten durfte. Solche Begegnungen verändern wirklich das ganze Leben.

Woher kommen die Ideen für die Erinnerungsstücke, wo holt ihr euch die Kreativität?

Das ist eigentlich wirklich ein Prozess. Anemone und ich gehen meistens zusammen ins Gespräch, weil natürlich jeder wieder etwas anderes sieht und aufnimmt. Und die Ideen nehmen wir aus unseren Kopf. Ich sage immer zu Anemone: Wir haben Konfetti im Kopf. Wenn man diese ganzen, tollen Geschichten hört, dann haben wir danach immer das Gefühl, dass wir den Verstorbenen eigentlich kannten. Und wir hören so viel von ihm und sehen vielleicht auch Fotos, dass er ein Teil von uns und von „Vergiss Mein Nie“ wird. Und in den Gesprächen mit den Angehörigen muss man einfach herausfinden, was für denjenigen gut ist.  Außerdem gehen uns die Ideen auch nie aus und das ist einfach auch das was wir gut können, uns die perfekten Sachen für jemanden auszudenken.

Trauer ist in unserer Gesellschaft ja schon ein bisschen ein Tabuthema. Hattet ihr Angst,  dass eure Idee nicht gut ankommen könnte?

Auf jeden Fall ist das immer noch ein Tabuthema, auch wenn sich in den letzten Jahren wirklich viel getan hat. Ich persönlich habe auch Angst vor dem Tod, aber grundsätzlich befasse ich mich auch gerne mit Themen, die für andere vielleicht ein Tabu darstellen und zu denen sonst niemand etwas sagen mag. Aber klar hat man auch Bedenken oder Zweifel, dass man denkt, hoffentlich wird das angenommen. 2013 haben wir unser Konzept versucht an verschiedenen Stellen einzureichen und haben dann öfters gehört: „Oh, das ist aber eine wunderschöne Idee, aber wie soll das denn funktionieren?“ Aber uns beiden war da schon völlig klar, dass es funktioniert. Am Anfang war es wirklich schwer, den Leuten klar zu machen, dass Trauer nicht nur ein ganz trauriges, schreckliches Thema ist, sondern das man das eben auch anders gestalten kann.

Wie haben denn eure Familien und Freunde auf eure Idee reagiert?

Am Anfang war es wirklich so, dass alle gesagt haben: „Oh, das Thema wollt ihr anfassen?“ Und wir haben auch ganz oft gehört, dass wir doch zwei so lebensfrohe Menschen sind und warum wir das denn jetzt machen wollen. Aber der Tod betrifft wirklich jeden, da kann man noch so lebensfroh und stark sein. Das Thema wird sich ja nicht in Luft auflösen und jeder hat in seinem Leben damit zu tun.

Wie hat „Vergiss Mein Nie“ dein Leben verändert?

Anfangen hat für mich alles mit dem Tod eines Freundes als ich Anfang 20 war. Da habe ich angefangen sehr viel über das Leben und den Tod nachzudenken, deswegen steckt der Gedanke schon sehr lange in mir. „Vergiss Mein Nie“ hat mein Leben herztechnisch sehr zum Positiven verändert. Ich habe das Gefühl, dass man vieles zum Guten verändern kann hier in Deutschland. Und da sind ganz viele, tolle Menschen mit uns auf dem Weg, die der Trauer und dem Erinnern einen ganz großen Platz einräumen. Und ich glaube da wird sich in den nächsten Jahren ganz viel tun. Für mich ist es zum Beispiel schön zu sehen, dass bei unserem „Tag der offenen Tür“ ganz viele Menschen kommen, die auch sehr neugierig auf das Thema sind und ein Bedürfnis danach haben, dass sich etwas verändert.

Hast du einen Tipp für Frauen, die sich auch mit ihrer Idee selbstständig machen wollen?

Also mir hat ein Mann namens Ben Becker mal einen schlauen Tipp gegeben und den kann ich nur ein jeden weitergeben: Was man nicht macht, passiert auch nicht. Und das stimmt ja wirklich. Vom Reden kommt nichts zustande, man muss es halt auch machen.    

Alle Infos zu Vergiss mein Nie bekommt Ihr unter: www.vergiss-mein-nie.de


Fotos: © Ilona Habben

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